Montag, 19. April 2021

Gesetzliche Vertretungsmacht des Ehegatten kommt zum 1.1.2023

 Die im Blog im Januar 2017 besprochene Ehegattenvertretung war seinerzeit aufgrund des Diskontinuitätsprinzips nicht zur Realisierung gelangt. Nun wird sie mit den von Bundestag und Bundesrat im März 2021 verabschiedeten Betreuungs- und Vormundschaftsreformgesetzes ab 1.1.2023 doch Wirklichkeit.

Gegenüber dem früheren Entwurf sind ein paar Änderungen erfolgt. Der Text des § 1358 BGB lautet in seiner abschließenden, vom Rechtsausschuss noch veränderten Fassung wie folgt:

„§ 1358 Gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge

(1) Kann ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen (vertretener Ehegatte), ist der andere Ehegatte (vertretender Ehegatte) berechtigt, für den vertretenen Ehegatten
1. in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einzuwilligen oder sie zu untersagen sowie ärztliche Aufklärungen entgegenzunehmen,

2. Behandlungsverträge, Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abzuschließen und durchzusetzen,
3. über Maßnahmen nach § 1831 Absatz 4 zu entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet, und

4. Ansprüche, die dem vertretenen Ehegatten aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, geltend zu machen und an die Leistungserbringer aus den Verträgen nach Nummer 2 abzutreten oder Zahlung an diese zu verlangen.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 und hinsichtlich der in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Angelegenheiten sind behandelnde Ärzte gegenüber dem vertretenden Ehe- gatten von ihrer Schweigepflicht entbunden. Dieser darf die diese Angelegenheiten betreffenden Krankenunterlagen einsehen und ihre Weitergabe an Dritte bewilligen.

(3) Die Berechtigungen nach den Absätzen 1 und 2 bestehen nicht, wenn
1. die Ehegatten getrennt leben,
2. dem vertretenden Ehegatten oder dem behandelnden Arzt bekannt ist, dass der vertretene Ehegatte
a) eine Vertretung durch ihn in den in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Angelegenheiten ablehnt oder
b) jemanden zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmächtigt hat, soweit diese Vollmacht die in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst,
3. für den vertretenen Ehegatten ein Betreuer bestellt ist, soweit dessen Aufgabenkreis die in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst, oder
4. die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht mehr vorliegen oder mehr als sechs Monate seitdem durch den Arzt nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 festgestellten Zeitpunkt vergangen sind.

(4) Der Arzt, gegenüber dem das Vertretungsrecht ausgeübt wird, hat
1. das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 und den Zeitpunkt, zu dem diese spätestens eingetreten sind, schriftlich zu bestätigen,

2. dem vertretenden Ehegatten die Bestätigung nach Nummer 1 mit einer schriftlichen Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 und das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe des Absatzes 3 vorzulegen und
3. sich von dem vertretenden Ehegatten schriftlich versichern zu lassen, dass
a) das Vertretungsrecht wegen der Bewusstlosigkeit oder Krankheit, aufgrund derer der Ehegatte seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann, bisher nicht ausgeübt wurde und
b) kein Ausschlussgrund des Absatzes 3 vorliegt.
Das Dokument mit der Bestätigung nach Satz 1 Nummer 1 und der Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 ist dem vertretenden Ehegatten für die weitere Ausübung des Vertretungsrechts auszuhändigen.

(5) Das Vertretungsrecht darf ab der Bestellung eines Betreuers, dessen Aufgabenkreis die in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst, nicht mehr ausgeübt wer- den.

(6) § 1821 Absatz 2 bis 4, § 1827 Absatz 1 bis 3, § 1828 Absatz 1 und 2, § 1829 Absatz 1 bis 4 sowie § 1831 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 2 gelten entsprechend.“

Hinweise: Mit den Maßnahmen in Absatz 1 Nr. 1 sind die gleichen gemeint, die im Behandlungsrecht in § 630a ff BGB stehen. Der Ehegatter ist „Berechtigter“ im Sinne der §§ 630d, e BGB. Mit § 1831 Abs. 4 sind die sog. „unterbringungsähnlichen Maßnahmen – bisher in § 1906 Abs. 4 BGB – gemeint, also zB Bettgitter, Fixierungen.

In Absatz 3 ist mit dem Getrennt leben das nach § 1567 BGB zu verstehen, nicht die zB krankheitsbedingte Trennung von Tisch und Bett (durch Pflegebedürftigkeit eines Ehegatten). Ein Scheidungsverfahren muss nicht rechtshängig sein.

Die Verweise in Absatz 6 meinen folgende Regelungen:
§ 1821 Absatz 2 bis 4: Berücksichtigung der Wünsche des Betroffenen (bisher § 1901 Abs. 2,3 BGB)

§ 1827 Absatz 1 bis 3: Beachtung der Patientenverfügung und anderer Behandlungswünsche (bisher § 1901a BGB)

§ 1828 Absatz 1 und 2: Arztgespräch zu den Behandlungswünschen (bisher § 1901b BGB)

§ 1829 Absatz 1 bis 4: Betreuungsgerichtliche Genehmigung der Behandlung (bisher § 1904 BGB)

§ 1831 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 2: Unterbringungsähnliche Maßnahme (bisher § 1906 Abs. 4 BGB)

Bestehende Vorsorgevollmachten und rechtliche Betreuungen (die die obigen Angelegenheiten umfassen), führen zum Nichteintritt des Ehegattenvertretungsrechtes. Eine nachträglich angeordnete Betreuung lässt es entfallen. Vermutlich wird die Rechtsprechung dabei auf die bestehende zum Thema Nichteignung von Bevolllmächtigten zurück greifen.



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