Dienstag, 7. Juli 2015

BVerfG: Kein Verzicht auf Genehmigungspflicht bei Freiheitsentziehung

Wenn ein Vorsorgebevollmächtigter in freiheitsentziehende Maßnahmen einwilligt, benötigt er hierfür die Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1906 Absatz 5 BGB. Auf die Genehmigungspflicht kann der Vollmachtgeber nicht verzichten. Die Genehmigungspflicht ist verfassungsgemäß (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2015 - 2 BvR 1967/12).

Nachdem die Vollmachtgeberin bei Pflegestufe III mehfach aus einem Stuhl und aus dem Bett gefallen war, willigte der Bevollmächtigte in die Benutzung von Bettgittern und Beckengurt ein. Das Betreuungsgericht (Amtsgericht) genehmigt dies. Eigentlich wäre der Fall hier zu Ende. Dem Bevollmächtigten ging es aber scheinbar um das Prinzip. Der Fall ging daher vom Amtsgericht zum Landgericht, danach zum Bundesgerichtshof und jetzt noch zum Bundesverfassungsgericht. Der Bevollmächtigte wollte festgestellt haben, dass das Betreuungsgericht gar nicht erst darüber entscheiden durfte, ob die freiheitsentziehenden Maßnahmen genehmigt werden. Er verlor in allen Instanzen.

Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Immerhin enthält der Nichtannahmebeschluss aber eine Begründung, was selten ist. Der Bevollmächtigte meinte, dass die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Absatz 1 GG) verletzt ist, wenn der Vollmachtgeber bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht auf die Genehmigung des Betreuungsgerichts verzichten kann. Das BVerfG sah hingegen eine Schutzpflicht des Staates:
"Der Staat ist durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren [...], wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht (mehr) dazu in der Lage sind" (Rn. 16)
[...]
"Es entspricht daher der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten, wenn der Gesetzgeber in § 1906 Abs. 5 BGB die Zulässigkeit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Einwilligung des Bevollmächtigten in derartige Freiheitsbeschränkungen unter ein gerichtliches Genehmigungserfordernis stellt." (Rn. 17)
Es gibt im Betreuungsrecht ein weiteres Genehmigungserfordernis bei gefährlichen Heileingriffen und dem Behandlungsabbruch (§ 1904 BGB). In diesen Fällen ist keine gerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn der Arzt und der Bevollmächtigte sich darüber einig sind, dass die Maßnahme dem Willen des Vollmachtgebers entspricht. Mit der Verfassungsbeschwerde sollte diese Vorschrift auch auf freiheitsentziehende Maßnahmen übertragen werden. Das BVerfG sah jedoch einen wesentlichen Unterschied darin, dass es bei § 1904 BGB nur darum geht, den Willen des Patienten festzustellen. Bei den freiheitsentziehenden Maßnahmen soll hingegen der jedenfalls noch vorhandene natürliche Wille des Vollmachtgebers überwunden werden.

Die Möglichkeit einer Kontrollbetreuung genügte dem BVerfG nicht, weil diese erst nachträglich greifen kann, wenn die freiheitsentziehende Maßnahme bereits (fehlerhaft) durchgeführt wurde.

Der Vorsorgebevollmächtigte muss wissen, dass freiheitsentziehende Maßnahmen der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedürfen. Hier hatte das Betreuungsgericht diese Genehmigung ja auch erteilt.

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